Die Revolte der Moderne gegen die abendländische Kultur

(am Beispiel der sogenannten Frankfurter Schule) Dez. 2005

Dr. Helmut Böttiger (www.spatzseite.de)

 Die Siegermächte wünschten und betrieben nach 1945 die „Umerziehung“ der deutschen Bevölkerung. Sie bedienten sich dazu vornehmlich der Methoden der sogenannten „Frankfurter Schule“. Diese war 1923 als „Frankfurter Institut für Sozialforschung“ mit dem Ziel gegründet worden, durch ihre „kritische Theorie" Menschen von Ideologien, das hieß von „falschem Bewußtsein“ zu befreien und sie dadurch gegen ungerechtfertigter Herrschaft zu immunisieren, kurz sie zu „emanzipieren“. Nach Rückkehr der Frankfurter Schule aus dem amerikanischen Exil in die Bundesrepublik in den fünfziger Jahren, wurde sie in den sechziger Jahren zum Bannerträger der „Neuen Linken". Sie verstand es, den Einfluß der alten kommunistischen Linken zurückzudrängen und mit wohl dosierter Hilfe der kontrollierten Medien die Führung einer sogenannten „Neuen Linken“ als der "progressiven Intelligenz" zu übernehmen. Damit leitete sie den „Wertewandel" in Deutschland ein, bis dieser in den achtziger-, neunziger Jahren auch über sie hinwegzurollen begann.

Der Wertewandel führte nicht zur versprochenen Emanzipation der Menschen, eher zu neuen, tiefer sitzenden Abhängigkeiten. Er engte das Individuum ein, reduzierte es zunehmend auf es selbst und seine mehr oder weniger vital bestimmten Bedürfnisse und Interessen. Dem entspricht die auffällige Objektfixierung der meisten Menschen und ihre Selbstbeschränkung auf die unmittelbare Bedürfnis- und Triebbefriedigung. Daraus ergab sich in Extremfällen aber mit sich ausbreitender Tendenz der Rauschmittelkonsum und allgemeiner eine Orientierungslosigkeit verbunden mit Angst als existentieller Grundbefindlichkeit. Diese wiederum bildet den Nährboden der heute herrschenden grünen Ideologie. Egoismus in Verbindung mit Angst und dem Gefühl der Ohnmacht und Wut. Gefühle, die sich zu einem breiten Spektrum von Ressentiments ausformen lassen, sind die Herrschaftsmittel schlechthin, die Voraussetzung, um Menschen führen zu können, wohin sie nicht wollen.

Den Psychologen und Soziologen der Frankfurter Schule waren ähnlich wie David Riesman, dessen epochemachendes Buch „Die Einsame Masse“1 dem gleichen Konzept diente, die Entstehungsbedingungen dieser Symptome nicht verborgen geblieben. Sie deuteten sie nur nicht als Programmpunkte ihrer eigenen „Emanzipationsbestrebungen“, sondern „analysierten“ sie als Spätfolgen der bürgerlichen, auf christliche Weltanschauung und kapitalistische Produktionsweise gegründeten Existenzweise und prägten sie zur Rechtfertigung ihrer Emanzipationsbestrebungen um. Damit kehren sie – was bei moderner „Wissenschaftlichkeit“ vielfach zu beobachten ist – Ursache und Wirkung um. Nicht die christliche Weltanschauung oder die „Christliche Matrix“, das ist die christliche Weltanschauung im Lebensvollzug, sondern die Revolte dagegen und ihre politische Nutzung scheint uns für die allseits beklagten Symptome der „einsamen Masse“ verantwortlich zu sein. Um diese Behauptung nachvollziehbar und verständlich zu machen, wollen wir uns im Folgenden zuerst über den Zusammenhang von Herrschaft und Angst verständigen. Wir lokalisieren dann die Bemühungen der Frankfurter Schule in der viel breiter angelegten Revolte der Moderne gegen die sogenannte Christliche Matrix, gehen auf ihre historischen Ursprünge und Prinzipien ein, skizzieren ihre Aktivitäten und umreißen das von der Geistesrichtung tatsächlich angestrebte Menschenbild. Dabei geht es uns nicht um die Frankfurter Schule an sich, die sich inzwischen längst überlebt hat, sondern um die breitgefächerte Revolte gegen die Christliche Matrix, die sie zusammenzufassen und auf die Spitze zu treiben sich bemüht hatte.



Herrschaftsmittel Angst.

Die Menschen sind auf Stoffwechsel mit der Natur, der von der Herstellung der Nahrung, Kleidung etc bis zur Produktion entsprechender Produktionsmittel reicht, angewiesen. Dazu müssen sie untereinander zielgerichtet zusammenarbeiten. Unter welchen Formen und Institutionen diese Zusammenarbeit zustande kommt, ergibt sich aus dem Grad ihrer geistigen Reife und den jeweils vorgefundenen Lebensumständen. Unter geistiger Reife verstehen wir in diesem Zusammenhang die begründete Einsicht in die Überlebensbedingungen der zusammenarbeitenden Gruppe und die Notwendigkeiten und Voraussetzungen, um die Zusammenarbeit aufrechterhalten und technologisch weiterentwickeln zu können.

Da diese Einsicht und Reife sich im denkfähigen und denkwilligen Menschen erst allmählich herausbildet und die Individuen nur in unterschiedlichen Graden an dem Reifungsprozeß und den dazu erforderlichen Erwerb von Ein- und Übersicht über die gesellschaftlichen Überlebensvoraussetzungen teilhaben, bildeten sich in den zusammenarbeitenden Gruppen Führungsstrukturen heraus, in denen besonders „weise“ oder „mächtige“ Persönlichkeiten die Führungspositionen einnahmen. Wie die Eltern und Erzieher ihre unmündigen Kinder vor dem Zugriff der Notwendigkeiten schützen und sie allmählich dahin führen, diesen selbst standzuhalten und zu genügen, so tun dies die Inhaber von Führungspositionen analog zum Erziehungsprozeß gegenüber der übrigen Gesellschaft. Verselbständigen sich die Führungspositionen in einer Gesellschaft wie einzelne Funktionen in einem sich verhärtenden Arbeitsteilungsgefüge, dann sprechen wir von Herrschaft. Demgegenüber bezeichnet „politische Freiheit“ den Grad an Einfluß, den einzelne Erwachsene einzeln oder organisiert auf die politische Führung ausüben können.

Das glaubhafte Versprechen, von Mangel, Not und Auslösern von Furcht und Angst (wobei Angst dann eintritt, wenn den Menschen die realen Ursachen und Auslöser von Not und Furcht verborgen bleiben) entlasten zu können, rechtfertigt die Herrschaft von Menschen über andere als willkommene Führung. Drückend wird die Führung und zur Herrschaft im widrigen Verständnis des Begriffs, wenn die Einlösung des Versprechens ausbleibt oder für die Menschen vernünftig nicht mehr nachvollziehbar ist. Um vor realen oder irrealen Quellen der Not und Angst geschützt zu werden, ertragen Menschen die Lasten, die ihnen die Herrschaft anderer Menschen auferlegt. Je größer die Angst ist, vor der die Herrschaft Schutz verspricht, desto willfähriger erdulden Menschen ihre Last. Ohne Ängste gibt es für Menschen wenig Grund, sich Anforderungen der Herrschaft, die sich vor der Vernunft nicht rechtfertigen lassen, zu unterwerfen.

Der Furcht entsprechen zunächst reale Bedrohungen. In der Urhorde wird zum Beispiel, wenn sie von wilden Tieren bedroht wird, der Mutigste und Stärkste das Kommando führen, um die Gruppe zur eigenen Verteidigung zu organisieren. Ihm zollen die gut Geführten Ehrfurcht. Führung ist nötig, um die gesellschaftlichen Kräfte zu bündeln und gegen die Ursachen der Bedrohung einzusetzen. Bedrohungen können von außen- oder innenpolitischen Feinden, Naturereignissen, wirtschaftlichem Mangel und Ähnlichem ausgehen.

Wird die Bedrohung überwunden, verliert die Führung im Bewußtsein der Beherrschten an Legitimität und kann auf Dauer nicht als Herrschaft aufrechterhalten werden, wenn sie nicht auf neue Formen und Arten der Bedrohung zu ihrer Rechtfertigung verweisen kann. Ohne reale Bedrohungen könnte der Stärkste und Mutigste der Horde keine herrschaftlichen Sonderrechte für sich beanspruchen. Die Gruppe würde sich seinen Ansprüchen entziehen, sich seitwärts in die Büsche schlagen und auf eigenen Wegen ihren Lebensunterhalt suchen. Zur Rechtfertigung ihrer Vorrechte neigen Herrschende dazu, ein gewisses Maß an Bedrohung aufrecht zu erhalten. In diesem Sinne erpreßt z.B. die Mafia Schutzgeld gegen Überfälle und sorgt für solche Überfälle im Fall der Weigerung oder neigen Staaten dazu, innenpolitische Zerfallserscheinungen durch außenpolitische, kriegerische Abenteuer zu überwinden.

Ängste und die Verheißungen, von ihnen befreit zu werden, beziehen sich nicht nur auf reale Bedrohungen und Mangelsituationen. Sie haben oft existentielle Ursprünge und gehen auf diffuse Identitätsprobleme der einzelnen Menschen zurück. Daher lassen sie sich auch „kultivieren“ und mit psychologischen Mitteln an unterschiedliche Objekte binden (die Freudsche „Kathexis“), die dann als bedrohlich ins Bewußtsein treten. Von solchen Objekten, zum Beispiel von „Teufeln“ oder von der um 1900 propagierten „Gelben Gefahr“ oder der heutigen angeblich drohenden „Klimakatastrophe“, geht ein imaginärer Terror aus, der propagiert wird und weitgehend geglaubt werden muß. Historische Herrschaftsformen nutzten solche Effekte, indem sie sich oft mit pseudoreligiösen Vorstellungen umgaben. Die herrschaftsmäßige, gesellschaftliche Nutzbarkeit solcher vorbewußter Ängste und Verheißungen („Mythen“ im Sinne von George Sorel2) hat in neuerer Zeit unter anderen Vilfredo Pareto als „Derivationen“ theoretisch erfaßt und in seiner Theorie von der „Rotation der Elite“ politisch handhabbar gemacht.3

Auf ähnliche Studien gründet sich die Herrschaftstheorie der modernen Massendemokratie. Statt primär auf direkten und wirtschaftlich meist teuren Terror durch Geheimdienste, Polizei, bezahlte Banden udgl. setzt sie zunächst auf die Wirkung imaginärer, existentieller Ängste und nimmt auf sie gestaltend Einfluß.4 Imaginäre Ängste verlangen vom „Gebieter“, wenn er akzeptiert werden will, nicht nur Schutz vor eingebildeten physischen Bedrohungen. Er muß die geängstigten Menschen von den Härten ihrer psychischen Belastung auch durch Zerstreuung und Unterhaltung, praktikable Lebensregeln und Sinnvorgaben glaubhaft ablenken. Er muß psychisch Vertrauenbildendes "zu bieten" haben.

Im Unterschied zum Ostblock, dessen Eliten vor allem mit der Bedrohung von außen durch den westlichen Klassenfeind nach innen regierten, haben die Eliten des Westens nach dem zweiten Weltkrieg neben der Bedrohungen durch den Kommunismus im Vorgriff auf dessen Überwindung schon verstärkt zu „kulturellen“5 und zu psychologisierenden Mitteln gegriffen, vorwiegend um ihr Angebot von „Freiheit“ zu rechtfertigen. Als die Bedrohung aus dem Osten und das eigene Angebot der Freiheit angesichts wachsender wirtschaftlicher Härten unglaubwürdig wurde, trat an ihre Stelle vermehrt die Bedrohung durch tatsächliche und angebliche "Umweltbelastungen" und neuerdings durch den „Terrorismus“. "Umweltschutz" kann viele Formen der Unterwerfung und Opfer rechtfertigen.6 Derartige „geglaubte“ Bedrohungspotentiale speisen sich aus einer in der Bevölkerung verbreiteten diffusen Existenzangst. Ein weiteres Beispiel hierfür liefert die vor allem bei „konservativen“ Grünen propagierte Angst vor Übervölkerung, vornehmlich der farbigen Bevölkerung, da diese die "Tragekapazität" unseres Planeten Erde überfordern und damit die eigene Existenz gefährden könnte.

In der Familie wird der Nachwuchs allmählich auf die Existenzbewältigung im Rahmen des notwendenden Stoffwechsels mit der Natur vorbereitet. In ihr bietet die Elternliebe für die Heranwachsenden einen Schutzraum, der die Schwierigkeiten der Existenzbewältigung, die solange bedrohlich sind als sie nicht bewältigt werden können, von ihnen fernhält und sie allmählich in ihre Bewältigung hineinwachsen läßt. In der Familie als wichtigster Institution zur Sozialisierung eines selbstbewußten Menschen können aber auch die Weichen für die psychische Manipulierbarkeit der Heranwachsenden gestellt werden. Die "Kritik" der Institution Familie und ihre weitreichende Veränderung war im Rückgriff auf S. Freuds Sexualtheorien eine der „wichtigsten Leistungen" der Frankfurter Schule7. Daneben finden sich schon in ihren frühen Schriften der Nachkriegszeit Vorformen der neuen innenpolitischen Wunderwaffe des Westens, der Umweltideologie.8

Unser Beitrag will erhellen, daß und warum die Frankfurter Schule nicht, wie sie behauptet, der Emanzipation des Menschen dient, sondern den Auftrag ausführte, verbreitete psychische Ängste zu kultivieren und in neue Methoden zur psychosozialen Knechtung auszuformen. Sie bediente sich dazu soziologischer und psychologischer Erkenntnisse und griff auf Material zurück, das Religions-, Literatur- und Kunstwissenschaft bereitgestellt hatten. Sie arbeitete an einer Art "Faschismus mit demokratischem Anstrich" und zwar im Rahmen einer von langer Hand vorbereiteten Usurpation der Herrschaft durch eine selbsternannte „neue“ Aristokratie unter revolutionärem Vorwand. Der Dandyismus, das Menschenbild Siegmund Freuds9 und Paretos Theorem von der Rotation der Eliten hatten dem Ziel der Frankfurter Schule vorgearbeitet und erste Ansätze der künftigen Herrschaftsinstrumente entwickelt.



Material psychologischer Herr-schaftsausübung

Westliche Gesellschaften leben heute auf so etwas wie einem durch immer neue Terrorisierung wachgehaltenen „Horrortrip“. Er läßt sich in der Angst zusammenfassen, die Menschheit könne und werde sich aus Mutwillen, Bösartigkeit oder nur durch gedankenlose Vermehrung in den eigenen Untergang stürzen. Das Material zu dieser in zahllosen Erscheinungsformen ausgeprägten kollektiven Angst liefern individuelle Identitätsängste. Sie bilden das diffuse, unreflektierte Gegenstück zu dem "Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit", das nach Vorstellung des Romantikers Friedrich Schleiermacher den Inbegriff der Religion ausmachen soll.

Der moderne Horrortrip äußert sich in dem Kult der Häßlichkeit10, der uns aus der modernen Kunst, den Moden und der angebotenen Unterhaltung entgegengrinst. Der Reiz der Häßlichkeit rührt aus dem verbreiteten Gefühl lähmender Langeweile, die sich einstellt, wenn die bisher gebotene Ablenkung an Reizlosigkeit versagt. Dagegen will man mit neuen, immer stärkeren Reizen angehen, die sich zunehmend nur durch den Zugriff auf Perversitäten steigern lassen. Es ist, um ein Bild zu gebrauchen, als würden sich Menschen in einem Boot sonnen, das langsam auf einen Wasserfall zutreibt. Die Insassen müssen sich durch immer lautere Musik aus einem mitgeführten Radio von dem immer deutlicher zu vernehmenden Tosen des Wasserfalls ablenken, um die Entspannung des Sonnenbadens trotz der wachsenden Bedrohung weiter genießen zu können. In der Langeweile rumort das aufkeimende Gefühl, an wesentlichen Aufgaben vorbeizugleiten.

Die modernen Ablenkungen über-decken und fördern die irrationale Ahnung, Menschen könnten die sich andeutenden und geglaubten Be-drohungen in Wirklichkeit, also durch Arbeit, nicht mehr bewältigen. Aus ihr ergibt sich der unstillbare Hunger nach Ablenkung, etwas vom Gebieter (der Unterhaltungsindustrie) geboten zu bekommen. Sie findet sich in fast allen Äußerungen moderner Pop-art. Symptomatisch für dieses Gefühl war der nun schon „klassische“ Song der Rockband Rolling Stones "I can get no satisfaction". Je mehr Versuche, sich selbst zu befriedigen, unternommen werden, desto größer wird das Gefühl, daß alles "so fad" sei - wie es der Wiener Kabarettist Qualtinger so beredt zum Ausdruck gebracht hatte - oder des "Ekels", den der Philosoph Sartre nur halb versteht. Die aus dem Gefühl der Ohnmacht und des damit verbundenen Identitätsverlusts gespeiste Langeweile kann so stark werden, daß sie in ein aktives, begeistertes Verlangen, Böses zu tun, umschlägt. Es drückt sich nicht nur im Genuß entsprechender Greuel-Unterhaltungs-Sendungen aus, sondern äußert sich bis hin zur Ausbreitung satanischer Kulte, die selbst vor blutigen Mordritualen nicht mehr zurückschrecken.11'

Solche Tendenzen begrüßte einer der Ideengeber der Frankfurter Schule, Walter Benjamin, bereits in den zwanziger Jahren als "Emanzipation vom Druck der Moral" und diese Art von Befreiung verteidigte noch der späte Herbert Marcuse in den sechziger Jahren, wenn er "die Befreiung des Denkens, Forschens, Lehrens und Lernens von dem bestehenden System der Werte und Verhaltensweisen" fordert.12 Bernhard Shaw meinte das gleiche, wenn er zum "protest against consciousness" auffordert, oder Friedrich Nietzsche, wenn er das historische Bewußtsein (er versteht darunter die angemaßte Verantwortung für den Verlauf der menschlichen Geschichte) als das „unglückliche" ablehnt.

Dem Horrortrip unserer Gesellschaft führten uns wie in einem Brennglas zusammengefaßt die Begleitumstände des Balkankriegs der neunziger Jahre vor Augen, die inzwischen von denen des Irakkriegs mit seinen Massenfolterungen unter „wissenschaftlicher Anleitung“ überboten werden. Die Greuel des bereits wieder in die Vergessenheit abgedrängten Balkankriegs stehen über die sogenannte Praxisgruppe, deren Mitglieder für einen großen Teil der Greuel direkt und indirekt verantwortlich waren, im Zusammenhang mit der Frankfurter Schule, als deren Zweig sie sich verstanden hatte. Sie soll uns hier eine Spur zu den Ursprüngen der imaginären Angst, welche die moderne Herrschaftspraxis handhabt, weisen.

Die im früheren Jugoslawien und jetzt wieder in den Gefängnissen des Irak verübten Ungeheuerlichkeiten, Vergewaltigungen, der Mordrausch, die Lust am Quälen sind nicht Relikte einer ungebändigten und noch nicht kultivierten, ursprünglichen Wildheit von Menschen. Die Bestialität ist, wie jene, die sich in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten bilden konnte, das wissenschaftlich geplante Ergebnis einer systematischen, enthemmenden Erziehungsarbeit. Solches Vorgehen orientiert sich nicht an unmittelbarer militärischer Zweckmäßigkeit, sondern zielt auf ein Höchstmaß an Terror und Einschüchterung der Bevölkerung, die gegen einzelne Untergruppen aufgehetzt (Kosovo-Albaner gegen Serben oder Sunniten gegen Schiiten etc.), vertrieben (Palästinenser aus Israel) oder zu irgendwelchen anderen Reaktionen gebracht werden soll.

Das Erschreckende an den Greueltaten zum Beispiel in Jugoslawien (ähnlich wie in den Gefangenenlagern Abu Graib etc.) ist, daß sie unter Aufsicht und Anleitung von akademisch gebildeten Psychiatern, Psychologen und Soziologen erfolgten. Ein paar der führenden Namen aus den leichter aufzuklärenden Vorgängen in Jugoslawien seien genannt, weil sie unserem Gegenstand, der Frankfurter Schule, eng verbunden waren. Da ist z.B. zu nennen:

- Dr. Radovan Karadzic, das Oberhaupt der serbischen Tschekniks in Bosnien. Er ist Psychiater und Spezialist für Gruppentherapie

- Dr. Jovan Rascovic, das gleiche für die Tschekniks in Kroatien. Er war bis zu seinem Tod der führende Theoretiker der Psychiatrie in Jugoslawien.

- Dr. Vojislaw Seslej, der Führer der Tschekniks Gesamtjugoslawiens ist Soziologe.

- Dr. Mihailo Marcovic, der Chefideologe der herrschenden Serbischen Partei Jugoslawiens ist Philosoph mit Schwerpunkt Soziologie und Freudscher Psychoanalyse.

- Dr. Srickowic, der serbische Propagandachef in Belgrad war praktizierender Psychiater.

- Auch einer der Hauptverantwortlichen, der UN-Unterhändler Lord Owen, ist Psychiater. Er hatte sein Handwerkszeug am Tavistock Institut in London, das der Methodenlehre der Frankfurter Schule nahesteht, gelernt.

Sie und viele andere progressive Intellektuelle und Schriftsteller feuerten die serbische Greueltaten gegen angebliche moslemische Fundamentalisten und kroatische Ustashis an. Sie gehören zu einem Kreis um die Zeitschrift "Praxis", die 1964 mit dem Ziel gegründet wurde, die revolutionären, „menschenfreundlichen" Theorien der Frankfurter Schule, der sogen. „Neuen Linken“, im damals "reformkommunistischen" Jugoslawien zu verbreiten. Zur Herausgeberschaft der Zeitschrift gehörten auf deutscher Seite unter anderem Jürgen Habermas, Oskar Negt, Albrecht Wellmer, Kurt Wolf, alles Jünger der Frankfurter Schule.

Jugoslawien und der Anteil der Frankfurter Schule an den dort verübten Ungeheuerlichkeiten ist aber nicht unser Thema. Die dortigen Vorgänge veranschaulichen nur eine verdrängte Dimension der weltanschaulichen Zielsetzung dieser Denkschule. Die Vorgänge gewinnen an Bedeutung, denn, wie Jaques Attali, der frühere Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung im Januar 1993 in der Zeitschrift Harper's zu recht urteilte: "Es besteht durchaus die Gefahr, daß der Zusammenbruch Jugoslawiens das Drehbuch für die Entwicklung in großen Teilen Zentral- und Osteuropas nach der Aufhebung der kommunistischen Ordnung (inzwischen könnte man ergänzen: „und der Umpolung der islamischen Welt“) darstellt...". Leider nennt Attali weder den Autor des Drehbuchs, noch den Regisseur des geplanten Films.

Deutlicher und für unseren Zusammenhang weiterführend sind die Worte eines leitenden Angestellten des erwähnten, britischen Instituts für Psychiatrie in Tavistock bei London am 10. Januar 1993 am Telefon:

"Jetzt (nach Ende des Ost-West-Konflikts, HB) tritt die Angst über einen Atomkrieg zurück. Dafür treten zahlreiche andere Ängste hervor, vor allem Ängste über unseren kleinen Planeten (gemeint sind „Umweltängste“, H.B.). Es handelt sich um eine Art von Malthusianismus.... Daraus (den Ereig-nissen in Bosnien, H.B.) entwickelt sich das Gefühl, daß das Beseitigen ("kill off') von Bevölkerung vielleicht nicht einmal so schlecht ist. Wenn sich die Leute in ihrem rationalen Denken über die Brutalität in Jugoslawien auch vielleicht Sorgen machen, so begrüßt ihr anima-lischer Überlebensinstinkt unbewußt diese Brutalität. Das Gewissen ist dabei zu verschwinden. Das Gewissen ist bekanntlich eng an den tatsächlichen Glauben gebunden. Es zeigt sich, daß die christliche Matrix sehr, sehr brüchig wird".

Wenn die gewünschte Anonymität des Sprechers auch die Beweiskraft des Zitats schmälert, so scheint das Zerbrechenwollen der christlichen Matrix durchaus dem aufgeklärten Zeitgeist zu entsprechen.

Christliche Matrix meint hier das abendländische Menschenbild und das darauf gegründete Gewissen des Einzelnen. Nicht gemeint sind spezielle Konfessionen, Kirchen oder Dogmen. Das Zerbrechen der christlichen Matrix setzt im Menschen elementare Identitätsängste frei und diese sind das eigentliche Material, aus dem die modernen Eliten die Freiwilligkeit der Unterwerfung seitens ihrer Untertanen formen. Etwas ähnliches wird heute mit dem sozio-psychologisch geplanten Zerbrechen der islamischen Matrix im Nahen Osten versucht. Im Folgenden wollen wir uns aber auf unseren abendländischen Kulturbereich beschränken. Dem Zerbrechen der christlichen Matrix entspricht der virtuelle Vatermord, von dem sich Siegmund Freund die Befreiung des Menschen von einer "Gemeinschaft, die ihr Triebleben der Diktatur der Vernunft unterworfen hat"13, erwartet. Freuds Vorstellungen mit der marxistischen Revolutionstheorie zu einer sozialwissenschaftlichen Theorie und Praxis verschmolzen zu haben, gilt als das Verdienst der "Kritischen Theorie".



Die Zerstörung der Christlichen Matrix

Die Frankfurter Schule hatte sich die Zerstörung der christlichen Matrix zur Aufgabe gemacht. Damit glaubte sie dem Ziel der "Emanzipation vom Druck der Moral" (Walter Benjamin) oder des "Protests gegen das Gewissen" (Bernhard Shaw) zu genügen. Denn - nach Auffassung dieser Schule - ist "die menschliche Selbstreflexion im Absoluten, die Vermenschlichung Gottes durch Christus das proton pseudos (die Lüge schlechthin, HB)"14 Das wird verständlicher, wenn wir versuchen, kurz den Inhalt der "christlichen Matrix" zu umreißen.

Im Mittelpunkt der christlichen Matrix steht das Gewissen: die Fähigkeit und Bereitschaft der Menschen zwischen außerhalb des je eigenen Bewußtseins vorgegebenen Werten wie Gut und Böse, Schön und Häßlich, Wahr und Falsch zu unterscheiden und entsprechend zu handeln. Bei den drei Kriterien handelt es sich also im christlichen Verständnis nicht um subjektiv beliebige Geschmacks- und Bewertungsfragen. Sie bilden vielmehr eine Einheit, in der sich Gott, der Schöpfer Himmels und der Erde ausdrückt. Das Gute, Schöne und Wahre steht also in einer engen harmonischen Beziehung zur als Schöp-fung verstandenen Welt als ganzer und damit auch zu dem, was für das Entstehen und Werden (und nicht nur „das Dasein“) aller Dinge und Lebe-wesen entscheidend und der eigentliche Ursprung ihrer Entwicklung ist. Dieser Ursprung wurzelt im Wollen (Gut) und Wissen (Schön) und muß realisiert (Wahr) werden. Daher glauben Christen an einen „trinitarischen“ aber persön-lichen, das heißt mit Selbstbewußtsein und Absicht schaffenden Gott (Sub-jektseite des Seienden).15 Der Schöpfer- gott handelt aber nicht nur universell „an sich“, sondern wirkt auf Erden „in, mit und unter“ menschlichem Handeln (Be-deutung des Christologischen Dogmas und der Konsubstanzialität). Das heißt, die Gottesidee ist aufs Engste mit der Idee der Menschwerdung des Men-schen, des Hinweinwachsens des Men-schen in das ihm prinzipiell mögliche Wesen verbunden.

Das Wesen des Menschen ist, wie es das Christologische Dogma umreißt, das endliche Ebenbild des unendlichen Gottes, die Repräsentation (und das Wirkmittel) des unendlichen Schöpfergottes im Endlichen. Demnach kann der Mensch an der voranschreitenden Vervollkommnung des Seienden selbstbewußt und schöpferisch, „frei“ aber ergebnisorientiert, Grenzen des Wachstums überwindend, mitarbeiten. Dementsprechend trägt er auch für das, was er bewirkt oder unterläßt, geschichtliche Verantwortung. In seiner prinzipiell gegebenen schöpferischen Fähigkeit und nicht in irgendwelchen Verstandesfunktionen liegt die besondere Würde des Menschen und sein wesentlicher Unterschied zum Tier. Die so verstandene, allerdings von Luther im Gefolge der sogenannten Nominalisten bestrittene Freiheit des Menschen, ist ein wesentliches Moment der christlichen Matrix. (Die erkenntnistheoretische Entsprechung zu der die Grenzen des Wachstums übersteigenden, schöpferischen Freiheit des Menschen bildet das Konzept der „analogia entis“. Sie ist die Voraussetzung dafür, daß das Erkennen des „endlichen“ Menschen schrittweise in die Erkenntnis des „unendlichen“ Schöpfers vordringen kann).

Der Mensch erfüllt sein Wesen, in dem er die für den Nächsten, sich und seine Umwelt scheinbar objektiv vorgefun-denen Grenzen des Wachstums kreativ-produktiv überwindet oder wenigstens daran mitarbeitet. Das kann zum Bei-spiel geschehen, wenn er in einem ob-jektiv traurigen Menschen wieder ein Lächeln der Zuversicht weckt oder wenn er der darbenden Menschheit mittels einer wissenschaftlichtech-nischen Erfindung eine neue Energie-quelle erschließt. Die christliche Lehre faßt die dazu erforderliche, höchst komplexe Anstrengung in dem Begriff "agapä", "(christliche) Liebe" zusam-men. Diese gilt daher als das gemeinsame Wesen des unendlichen Gottes und des endlichen Menschen.

Das Grenzen des Wachstums überschreitende schöpferische Potential des Menschen ist nicht bloße Möglichkeit, sondern Existenz- und Wesensgrundlage des Menschen. Denn bei ihrem Stoffwechsel mit der Natur verbraucht die organische, belebte Natur (Biosphäre) die in ihrer Umgebung, in der anorganischen, unbelebten Natur (Lithosphäre) vorgefundenen lebenswichtigen Sub-stanzen (Nahrungsstoffe, Rohstoffe). In dem sie nur lebt, bewirkt sie infolge der Ausdünnung der jeweiligen Rohstoffe ihren Untergang. Leben ist auf Dauer nur möglich, wenn die belebte Natur sich evolutionär ändert, um andere Substanzen der anorganischen Natur als Rohstoff in die Biosphäre integriert und ihren Durchsatz (Nahrungskette) verlängert und verkompliziert, das heißt, sie im Sinne der Entfaltung des Lebens besser nutzt. Was in der Natur evolutionär, nach modernem Verständ-nis quasie unbewußt geschieht, kann und muß der Mensch mit Bewußtsein, gezielt bewirken. Die Entdeckung, Ent-wicklung und Nutzung neuer Rohstoffe, neuer Verfahren ihrer Verwendung und die Steigerung der Effizienz wird somit zum Wesen der Noosphäre des Men-schen. Er nähert sich, wenn er diese Fähigkeiten entwickelt, seinem eigenen Wesen an und wird zunehmend zum Schlüssel für die Entwicklung der gesamten Biosphäre und übernimmt für sie, in dem Maße, in dem er wesentlich wird, die Verantwortung.

An dem so zunehmend klar begriffenen Wesen orientieren sich die Gewissensentscheidung des Menschen. Herausforderungen, die den Menschen seinem Wesen näher bringen, sind „gut“, was ihn davon abhält beziehungsweise zurückwirft, ist „böse“.16 Glück und Freude erfährt der Mensch, wenn er sich seinem Wesen nähert, Angst und Leere, wenn er sich ihm entfernt. Im Wesensverlust, der Abkehr der Entwicklung auf sein Wesen hin, liegt die Quelle der Angst. Sie wird von Führung überwunden, die den Menschen auf den Weg zu seinem Wesen zurückführt und sich dadurch schrittweise selbst überflüssig macht. Tut sie das nicht, sondern versucht sie sich als Herrschaft zu festigen, dann muß sie mit der in den Menschen aufkeimenden Angst umgehen, indem sie für die Angst glaubhafte Erklärungen findet und die Menschen entsprechend gegen die virtuellen, scheinbar ängstigenden Bedrohungen verführt. Angst und Leere lassen sich zwar auch durch Rausch, ekstatischen Genuß oder „Arbeitswut“ und Ähnliches übertönen. Doch gelingt das nur „situationistisch“, das heißt zeitlich punktuell und daher immer nur vorübergehend.17

Wesensgemäßes, vernünftig-kreatives Handeln und das damit verbundene „Glück“ stellt sich nicht spontan ein, es ist nur als unbeabsichtigter Lohn für Arbeit, Anstrengungen und Mühen zu haben. Dabei sind die Belastungen vor allem seelischer (nach Luther das „Sterben des alten Adams“) und weniger physischer Natur. Sich solchen belastenden Herausforderungen entziehen zu wollen, ist im eigentlichen Sinne „böse“ und Ausdruck der Lieb(Gott)losigkeit. Daher gilt in der christlichen Lehre Bequemlichkeit als Todsünde, und „Faulheit als aller Laster Anfang“. Weil die Forderung auch mißverstanden, für Herrschaftsinteressen verwendet werden kann, und vielfach auch wurde, liegt hier der Grund, weshalb das christliche Konzept der Gottebenbildlichkeit vielen scheinbar aufgeklärten Menschen als "proton pseudos", als Lüge schlechthin, erscheint. Das macht ein weiterer Aspekt verständlich.

Sein Wesen ist dem Menschen weder als Eigenschaft noch als Zustand verfügbar. Er nähert sich ihm, wenn er in bestimmter Richtung kreativ tätig ist. Dem versucht der Begriff der Erbsünde gerecht zu werden. Die Erziehungssituation vermag das zu veranschaulichen. Das neugeborene Kind ist zwar vernunftfähig aber nicht vernünftig. Es kann nicht zwischen Gut und Böse entscheiden und repräsentiert selbst noch nichts vom Wesen des Menschen. Trotzdem "erkennen" die Eltern und Erzieher aus Liebe in ihm dieses Wesen und leben es quasi stellvertretend für das Kind aus. In dem Maße, in dem sie das tun, d.h. das Kind lieben, üben sie elterliche Autorität aus und repräsentieren dem Kind gegenüber dieses menschliche Wesen. Elterliche Autorität sollte nicht willkürlich sein, sondern hat sich als vernünftig, das heißt im Einklang mit dem universellen, göttlichen Schöpfertum zu erweisen. Vor allem aber ist elterliche Autorität endlich, also auch darauf angelegt, sich zu erübrigen. In dem Maß, in dem der Mensch selbst vernünftig wird, kann und muß er der äußeren über ihn bestimmenden Autorität entraten.

Die Freiheit, sich so verstanden dem Gewissen entsprechend zu entscheiden, gehört nach der christlichen Matrix zum Wesen des Menschen. Sie hat zur Voraussetzung, daß der heranwachsende Mensch lernt, zwischen dem Wesen des Menschen, soweit es von der elterlichen Autorität ihm gegenüber nur repräsentiert wird, und dem Wesen, soweit es sich selbst in seinem eigenen Gewissen zu melden beginnt (Gnade), zu unterscheiden ("Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen"). Das Nein gegenüber der elterlichen Autorität kann daher zur conditio sine qua non eigener Wesentlichkeit werden. „An sich“ ist dieses Nein aber nicht gut und auch kein Ausdruck von „Freiheit“. Ob es gut oder böse ist, hängt davon ab, wohin und wogegen es (das Nein) sich wendet. Es kann elterliche Zumutungen abwenden wollen, welche die Entwicklung eigener Wesentlichkeit behindern, oder solche, die zur grenzüberschreitenden Entwicklung, zur Überwindung kindlicher Rückständigkeit auffordern. Nicht jeder Protest und jede Revolte ist daher emanzipatorisch und deshalb gut.

Zur Zeit von Leibniz begann sich die christliche Matrix zu „säkularisieren“. Das Gewissen löste sich von religiös kultischen Vorstellungen und Verbrämungen und äußerte sich in einem zunehmend vernunftbezogenen Gewand. An die Stelle der Schöpfungstheologie rückte eine noch nicht positivistisch reduzierte Naturwissenschaft (Die Erkenntnis dessen, „was die Welt im inneren zusammen“ und in Entwicklung hält). Mit Wissenschaft und Technik erkannte das Gewissen seine praktische und - wenn man will - ökonomische Bedeutungsebene. (Die christliche Agapä wuchs damit über das bloß mitmenschliche Samaritertum hinaus). Physische Not läßt sich nicht nur im Einzelfall (beim Nächsten) praktisch überwinden18 und Agapä kommt letztlich auch bei der Hypothesenbildung in der Forschung zum Tragen. Seinen vordergründig direkten Ausdruck fand die neue Dimension der christlichen Matrix im Erfinder-Unternehmer. Diese Form der bürgerlichen Existenz wurde im Biedermeier von allerlei kritikwürdigen, sozialen Mißständen überdeckt und verzerrt. Deren Kritik ließ sich dazu mißbrauchen, um die Herausforderung, die diese selbstbewußte Existenzweise vor allem für Intellektuelle darstellt, welche die physische Arbeit scheuen oder als entehrend empfinden, abzuwimmeln. Dem kritischen Intellektuellen gerann das Unternehmer-tum zum Bild des bloß reichen Besitzbürgers, der Begriff „Vermögen“ (= Können) reduzierte sich ihm auf den bloßen materiellen Besitz. Dieser angeblich verklemmten, (besitz)bürgerlichen Existenz wollte die Frankfurter Schule die Befreiung des Eros und des Genusses entgegen stellen.19



Die Revolte

Das Gewissen der christlichen Matrix ist eine anstrengende Sache und mit Arbeit verbunden. Dagegen erhob sich zu allen Zeiten Protest und Widerstand sogenannter gehobener, privilegierter Kreise in areligiösen oder pseudoreligiösen Formen.20 Sie wurden zwar weniger offen im Namen der Bequemlichkeit geführt, dafür aber als Befreiung von ungebotenen Ansprüchen an den Menschen gerechtfertigt oder als Ergebenheit in den Lauf der natürlichen Entwicklung verklärt. Die Revolte richtet sich im allgemeinen gegen den Anspruch, der Einzelne trage für die allgemeine Entwicklung Mitverantwortung. Die Revolte versteckt sich auch gerne hinter einem Kollektiv, hinter einer pseudowissenschaftlich erwiesenen Determiniertheit aller Naturvorgänge also auch des Einzelnen und seines Schicksals, hinter objektiven "Triebgesetzen der Gesellschaft" (Adorno), oder allgemeinen Marktgesetzen und ähnlichem. Solche Determiniertheit, zum Beispiel auch Nietzsches überschwenglich gefeiertes Konzept von der „Ewigen Wiederkehr“ des banalen Gleichen, engt das Wesen des Menschen, das darauf angelegt ist, Grenzen des Wachstums zu überwinden, ein und erzeugt so - im metaphysischen Sinne - Angst. Als Ergebenheit in das Walten eines allmächtigen, alles beherrschenden und festlegenden, absolut unergründbaren Gottes (Dun Scotus oder Luthers „deus absconditus“) oder Weltgeschicks nimmt der Protest pseudoreligiöse Züge an.

Die moderne Revolte beginnt nicht erst mit den psychosozialen Programmen eines David Riesman, der Frankfurter Schule oder ähnlicher Institutionen, sondern hat eine lange Vorläufergeschichte. Die heute noch am weitesten verbreitete Form der Revolte war der Liberalismus im Gefolge Adam Smith's.21 Auch er zielte auf die ideologische Zersetzung der praktischen Verantwortlichkeit des Menschen und ersetzt sie durch den Marktmechanismus der unsichtbaren Hand und die ideologische Rechtfertigung des Mangels als der ontologischen Grundkomponente des Wirtschaftens. Die Rechtfertigung der egoistisch, liberalistischen Revolte brach sich zunächst an der Industrialisierung der zu spät gekommenen Randländer (Deutschland, USA) und löste später Weltkriege aus. Darauf wollen wir hier aber nicht eingehen.

Geschichtlich haben sich zu Beginn des bürgerlichen Zeitalters, das sich durch dramatische technologische Entwicklungen auszeichnete, drei typische Formen der frühen Revolte herausgebildet:

- Romantik. Sie begann als Verherrlichung vorbürgerlicher Bewußtseinszustände, und als bewußter Rückschritt in heidnische, vorchristliche oder mittelalterliche Vorstellungen aus einer Zeit, als alles „geregelt“, „als die Welt noch in Ordnung war“. Sie erklärt sich heute sogar als „progressiv“, erscheint in „grünen“ Formen der Verherrlichung oder Deifizierung der Natur und ihrer Triebimpulse im Menschen.

- Radikaldemokratismus. Er erwuchs aus der bloßen Ablehnung moralisch-praktischer Zumutungen seitens äußerer aber auch innerer Autoritäten. Er ersetzt die Herausforderung, Lösungswege für anstehende, gesellschaftliche Aufgaben und Engpässe zu finden und durchzusetzen, durch die formale „freie“ Wahl sympathischer Personen oder Parteien in formale Gremien, für deren Arbeitsergebnisse im Grunde niemand, auch die Gewählten nicht, die Verantwortung übernehmen oder tragen.

- Sozialismus, soweit er selbstbewußtes Schaffenwollen nur in Neidgefühle auf „die da oben“ und Wut darüber, übervorteilt und ausgebeutet worden zu sein, ummünzt und nicht gangbarere Wege und Formen der bewußten Zusammenarbeit in unseren höchstkomplex gewordenen Stoffwechselprozessen mit der Natur zu weisen vermag.

Einzelne Impulse zur Revolte sind so alt wie die Formen der Verselbständigung von Herrschaft. Sie richten sich seit den ersten Anfängen ihrer Ausprägung gegen die christliche Matrix als einer unzumutbaren, unbequemen Herausforderung, oder weil diese als bloßes Propagandamittel der vorgegebenen Herrschaft mißverstanden und mißbraucht wurde. Ihre bewußte Instrumentalisierung begann 1859, als Charles Baudelaire dem Begriff der "Modernität" prägte. Treffend hat Charles Baudelaire ihre Absicht beschrieben: "Der Dandyismus ist das letzte Aufleuchten des Heroismus in den Zeiten des Verfalls... In der Wirrnis dieser Zeit können einige aus der Bahn geworfene, angewiderte, unbeschäftigte, aber an ursprünglicher Kraft reiche Menschen sich vornehmen, eine neue Art von Aristokratie zu gründen. Sie ist um so schwerer zu zerbrechen, als sie sich auf die kostbarsten, unzerstörbarsten Fähigkeiten und auf Himmelsgaben stützt, welche durch Arbeit und Geld nicht zu erlangen sind".22 Das Ziel, eine neue Aristokratie im Zerfall der alten zu usurpieren, konnte auf zwei miteinander verwobenen Ebenen angegangen werden, auf der Ebene der ideologischen (Ver)Führung und auf der Ebene der finanziellen Vergewaltigung.

Die Revolte ist das eigentliche "Projekt der Moderne" (Jürgen Habermas). Die in den Massen gezündete Revolte ist somit in erster Linie ein politisches Machtmittel in der Hand derer, die sich als "neuen Art von Aristokratie" verstehen und zu etablieren versuchen. In diesem Sinne haben sich zunächst zahlreiche Formen der romantischen Bewegungen, wie der „arts and crafts movement“ aus England (John Ruskin), den Wandervogel, die Lebensreformbewegung, Kosmische Naturfühligkeit und ähnliches gebildet. Diese trugen das Material zusammen, aus dem heute die New Age Bewegung als postmoderne, postchristliche, synkretistische Religion geschmiedet wird. Schon frühzeitig wurden in diesem Sinne „revolutionäre“, kollektivistische Bewegungen zur Unterstützung der sich als Avantgarde verstehenden "neuen Art von Aristokratie" geformt, wie Sozialismus (organisatorisch ebenfalls zum Teil auf John Ruskins Romanti-zismus zurückgehend), Nationalismus und Formen des Rassismus.23

Der sogenannte Marktmechanismus wird heute kaum mehr als „revolutionäre“ Mechanik durchschaut. Marktrelevante Aktivitäten soll einzig das Streben nach Geldgewinn antreiben. Auf dem Markt ist aber bei fester umlaufender Geldmenge (wobei Geld als Wertsubstanz mißinterpretiert wird) gar kein Gewinn möglich. Dazu kann es nur kommen, wenn von außen immer neue Wertsubstanz in den Markt eingesaugt oder erobert wird. Von der Einsicht in diesen grundsätzlichen Zusammenhang sollte Marxens Mehrwerttheorie ablen-ken. Schließlich ließen sich die ökono-misch unterdrückten und angesichts des wirtschaftlich Machbaren in ungebühr-licher Not gehaltenen Massen, die dadurch in ihrem Identitätsgefühl verletzt waren, in nationalistische, sozialistische und rassistische Bewegungen und Parteien organisieren, deren Wir-Gefühl ihnen eine leicht steuerbare Identität verlieh. Das Gleiche besorgt heute ohne besonderen -Ismus eine alles umfassenden Unterhaltungs- und Be-wußtseinsindustrie preiswerter.24



Die Frankfurter Schule unternahm als erste den systematischen Versuch, die verschiedenen Aspekte dieser Revolte zusammenzufassen. Dazu trug sie während ihrer ersten Schaffensperiode unter dem Fabianer Carl Grünberg die Schriften aller auffindbaren Revolte-Intellektuellen im Grünberg Archiv zusammen. In ihrer zweiten Periode, unter Max Horkheimer schmiedete sie aus dem gesammelten Material mit Hilfe sozialwissenschaftlicher Techniken die Herrschaftsinstrumente der Avant-garde-Intellektuellen beim Versuch sich mit Hilfe (für dumm gehaltener) Geldgeber als „neue Art von Aristo-kratie“ zu etablieren. Vorbereitet wurde das auf den Kaderseminaren kommunistischer Intellektueller auf der Insel Capri. Ihre Erträge brachte vor allem Walter Benjamin in die Arbeit der Frankfurter Schule ein. Seine Beiträge hat später besonders Theodor Adorno ausgeschlachtet.25



Historische Anfänge der Frank-furter Schule

Die historischen Anfänge der Frankfurter Schule sind für ihr Verständnis nicht unerheblich. Nach dem Gelingen der Russischen Revolution erwarteten die Intellektuellen der Capri-Schule ein Übergreifen der Revolution auf Deutschland und von da aus auf den Rest der Welt. Dazu kam es nicht, obwohl in Deutschland nach der Niederlage alle "objektiven" Voraussetzungen für eine kommunistische Revolution gegeben waren. Die Institutionen waren zerschlagen, die herrschende Elite diskreditiert und entmachtet, das Elend der Massen kaum zu beschreiben. Trotzdem folgte die deutsche Arbeiterklasse dem Ruf "ihrer" Avantgarde nicht. Das wiederholte Scheitern ihrer Revolutionsversuche in Deutschland frustrierte die Revolte-Intellektuellen um 1922.

In dieser Situation beraumte Felix Weil 1922 eine "Erste Marxistische Arbeitswoche" in einem noblen Hotel in Illmenau am Thüringer Wald an. Felix war Sohn des deutschen Getreidehändlers Hermann Weil, dem die Briten aus unerfindlichen Gründen Marktanteile an dem von ihnen kontrollierten, in den Hungerjahren nach dem 1. Weltkrieg lukrativen Getreidehandel Argentiniens eingeräumt hatten. Mit Getreide und weiterreichenden Spekulationsgeschäften hatte er im unterversorgten Deutschland gewaltige Reichtümer ansammeln können. Aus ihnen finanzierte er neben der KPD den Aufbau der Frankfurter Schule.

Für die Tagung in Illmenau waren zwei Redner richtungsweisend. Der eine war der in England zum Fabianismus bekehrte deutsche Rätesozialist Karl Korsch. Er hatte gerade sein Buch "Marxismus und Philosophie" veröffentlicht. Darin empfahl er, die marxistische Revolutionstheorie durch einen über das Ökonomische hinausgreifenden, breiteren philosophischen Ansatz zu erweitern. Den fand er im Entfremdungskonzept des jungen Hegel. Der andere Redner kam direkt aus Moskau. Es war der ehemalige Volkskommissar für Kultur der gescheiterten ungarischen Räterepublik, Georg Lukacs. Auch er hatte gerade ein Buch, "Geschichte und Klassenbewußtsein", herausgebracht. Danach hatte die deutsche Arbeiterklasse im Unterschied zur russischen deshalb die sozialistische Revolution nicht unterstützt, weil sie trotz ihrer Säkularisation geistig noch immer im besonderen, westlichen Christentum (der christlichen Matrix) befangen war. Um die damit verbundene Denk- und Empfindungsweise auszu-merzen, schlug Lukacs Vorgehens-weisen vor, die sich an den marxistischen Begriffen der "Verding-lichung" und des "Fetischcharakters der Ware" orientieren sollten.26

Mit Hilfe der aus diesen Begriffen abgeleiteten Instrumenten sollte im einzelnen Individuum ein grundsätzliches Mißtrauen gegen das geweckt und eingeflößt werden, was ihm bisher als moralisch und vernünftig galt. Damit wurde in ihm aber auch der Zweifel an dem eigenen vernünftig-moralischem Urteilsvermögen verankert.27 Lukacs hat bei dem von ihm hoch verehrten Dostojewski gelernt, daß sich der Mensch dann, wenn er sein Ich und seine Persönlichkeit in einer kollektiven Instanz aufhebt und damit von den Leiden an der eigenen moralischen Unzulänglichkeit entlastet (im Falle Lukacs war das die verbindliche Führung der "Partei der Arbeiterklasse und deren Avantgarde").28

Lukacs hatte sein revolutionäres Wollen weniger an Karl Marx, als an Dostojewski geschult. Dementsprechend fand er das "Model des neuen Menschen" in Aljoscha Karamazow, jenem nützlichen "Engel", der seine persönliche Identität dem Kloster des Staretz geopfert hatte. Dieses Opfer seines Ich's machte ihn gegen alle (wirtschaftlichen wie intellektuellen) Anfechtungen der westlichen Zivilisation, die seine anderen Brüder verkörperten, unerreichbar.29 An die Stelle des Klosters tritt bei Lukacs die Partei, deren Führung sich der Intellektuelle bedingungslos unterwerfen muß, um sich von den ihm noch immer anhaftenden Restbeständen der falschen bürgerlichen Ideologie reinigen zu können. Ein Schlüssel für Lukac’s Denken ist die Parabel vom Großinquisitor aus Dostojewskis Roman "Die Brüder Karamasow". Er behandelt die unterschiedlichen Reaktionen des Menschen auf den Vatermord, welche die drei Brüder verkörpern.

Als Volkskommissar für Kultur der ungarischen Räterepublik gehörte es zu den Aufgaben Lukacs, mit der nicht umerziehbaren Intelligenz des alten Regimes aufzuräumen. Augenzeugen berichten, daß er bevor er die Erschießungskommandos ausschickte, diese jedesmal mit einer kleinen Ansprache „bestärkte“. Diese soll meistens mit den Worten aus der Parabel „Der Großinquisitor“ geendet haben: "Wir, die wir die Sünde zu deren (der Massen) Glück auf uns genommen haben, wir werden uns vor Dir (Jesus) erheben und sagen: Richte uns, wenn du kannst und es noch wagst!".

Die berühmte Parabel Dostojewskis ist vielfach falsch gedeutet worden. Wovon handelte sie? Der auferstandene Jesus kommt auf die Erde zurück. Die Kirchenleitung fühlt sich bedroht und läßt ihn fangen. Der Großinquisitor rechtfertigt in einem Monolog seinen Entschluß, ihn "morgen (als Ketzer) zu verbrennen". Jesus habe die schwachen Menschen mit der Freiheit, die an die Unterscheidung von Gut und Böse gebunden sei (christliche Matrix) überfordert und sie um einiger weniger "auserwählter Stolzer" willen, die ihrer fähig sein könnten, ins Unglück gestoßen. "Ich bin - bekennt dagegen der Großinquisitor - aus der Reihe der Stolzen ausgeschieden und bin zurückgekehrt zu denen, die sich gedemütigt haben zum Heil (d.i. Wohlergehen) der Sterblichen".

Er habe - erklärt er weiter - aus Erbarmen mit der Schwachheit der kleinen Leute, ihnen die moralischen Entscheidungen ab- und auf sich genommen. Was das bedeutet, erklärt er in drei Anläufen. An Hand der Versuchungsgeschichte aus den Evangelien stellt der Großinquisitor die Fehlentscheidungen Jesu richtig. Im Unterschied zu Jesu habe er es auf sich genommen, den Menschen

1. eine materielle Grundversorgung zu gewährleisten (Steine zu Brot gemacht),

2. durch Unterhaltung ihren mühseligen Alltag zu verschönen (Geheimnis, Wunder - Sprung vom Tempel),

3. und ihnen die moralischen Entscheidungen durch entlastende Verhaltenssteuerung erleichtert ("So du niederfällst und mich anbetest").

Jesus hört die Rede des Großinquisitors schweigend an, "küßt ihn sanft auf dessen blutlose Lippen" und verschwindet, ohne ein einziges Wort gesagt zu haben, auf nimmer Wiedersehen.

Als Ergebnis der "Ersten Marxistischen Arbeitswoche" in Ilmenau kam es zur Gründung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Es sollte den intellektuellen Führungsstab der geforderten Kulturrevolution stellen. Die Herkunft der Gelder sagt etwas über die Ausrichtung der Arbeit dieses Instituts aus. Sie stammten zunächst – wie erwähnt – aus der Erbschaft Felix Weils, flossen aber bald von zahlreichen anderen Institutionen, so unter anderem vom Preußischen Unterrichtsministerium unter Carl Heinrich Becker30 und aus der Sowjet Union. Später waren Geldlieferanten aus so revolutionären Einrichtungen wie der Rockefeller Foundation, verschiedenen US-Universitäten, vom Amerikanischen Jewish Committee, dem Intern. Labor Office der UNO, dem US State Departement und dem Hacker Institut bei Hollywood, einer Psychiatrischen Klinik, sowie vom erwähnten Tavistock Institut in London hinzu.

Als Max Horkheimer nach dem Tod Grünbergs das Institut übernahm, verband er es mit dem Frankfurter Psychoanalytischen Institut, an dem sein und Erich Fromms Psychoanalytiker, Karl Landauer, arbeitete. Das Psychoanalytische Institut war aus dem sogn. "Torahpeutikum" hervorgegangen. So nannte man in jüdischen Kreisen ein Sanatorium zur Psychoanalytischen Behandlung junger Erben wohlhabender, assimilierter jüdischer Familien des Deutschen Bildungsbürgertum. Diese drohten infolge der Assimilation ihrer Familien dem Judentum verloren zu gehen und sollten erneut zu jüdischem Volkstum und Religiosität chassidischer Prägung zurückgeführt werden. Die Chassidim betonten vor allem das jüdische Volkstum und wandten sich daher strickt gegen jede Form der Assimilation mit dem jeweiligen "Wirtsvolk".31 Dem Thorapeutikum stand der Kreis um Rabbi Nehemia Nobel nahe, der über Bildungsveranstaltungen im „Freien Jüdischen Lehrhaus“ in Frankfurt etwas Ähnliches versuchte. Aus seinem Kreis stammten neben Fromm unter anderem Krakauer, Benjamin und Adorno. Erich Fromm hatte Frieda Reichmann, die Besitzerin des Thorapeutikums geheiratet und es so in die Frankfurter Schule eingebracht. Er war, bis ihn Max Horkheimer 1939 aus Geldgründen aus dem Institut drängte, einer der aktivsten Mitarbeiter des Instituts gewesen.



Aktivitäten der Frankfurter Schule

Die Frankfurter Schule suchte zunächst nach Ansatzpunkten für die geplante Kulturrevolution, die nach Georg Lukacs die Vorbedingung für das Gelingen der eigentlichen Revolution sein sollte. Im Zuge dessen untersuchte Erich Fromm zunächst "Die Entwicklung des Christusdogmas" und regte zum anderen eine empirische Untersuchung des Instituts über "Die Lage der arbeitenden Klassen in Vergangenheit und Gegenwart" an. Hierbei interessierte ihn vor allem, wie die innere Triebstruktur der Unterschicht "domestiziert" und zu "gesellschaftlichem Kitt" umgeformt werden konnte.32 Beide Studien brachten kein befriedigendes Ergebnis und führten nicht recht weiter.

Erich Fromm verfiel als erster der Frankfurter Schule auf die Idee, die ökonomische Revolutionstheorie des Marxismus psychoanalytisch umzudeuten, um so einen Ansatz für die geforderte Kulturrevolution zu finden. Danach wären unbefriedigte Triebimpulse (ES) so zu stimulieren, daß sie gegen ihre Kontrollinstanz (Überich, Gewissen) aufbegehren und diese beseitigten ("Vatermord"), um so zur geistigen Befreiung des Einzelnen (ICH, die bewußte Befriedigung der eigenen Bedürfnisse mit Hilfe von Verstand und Vernunft) zu finden. Der Freud’sche Ansatz Fromms entsprach durchaus dem Ansatz, den Luckac bei Dostojewski gefunden hatte. 33 Das Thema Vatermord hatte Fromm im Gefolge Freuds (Ödipus-Komplex) schon sehr früh fasziniert. Er glaubte 1927 in seiner ersten längeren, tiefenpsychologischen Untersuchung „Der Sabbat“ 34 herausgefunden zu haben: „Der Sabbat galt ursprünglich der Erinnerung an die Tötung des Vaters und die Gewinnung der Mutter; das Arbeitsverbot galt gleichzeitig der Buße für das Urverbrechen und seine Wiederholung durch Regression auf die prägenitale Stufe.“

Die Antwort auf die Frage, wie der Freudsche Ansatz kulturrevolutionär umgesetzt werden könne, fand Fromm schließlich in dem Buch Robert Briffaults "Die Mütter, eine Studie über den Ursprung von Gefühlen und Institutionen". Fromm gewann Briffault als freien, das heißt nicht bezahlten Mitarbeiter für das Institut.35 Briffaults These behauptete, daß die autoritäre, paternalistische Familie, das Kind vergewaltige und ihm damit die Chance einer freien Entfaltung seiner inneren Triebe und Gefühle verwehre. Sie mache aus der triebhaften Lust vielmehr Gefühlsmaterial, mit dem sich die Gesellschaft zusammenkitten ließ. Briffaults Thesen veranlaßten das Institut zu ihrer berühmten Studie "Autorität und Familie". Das dort erarbeitete empirische Erhebungsmaterial hat heute allerdings keinen besonderen Wert. Ergiebig sind dagegen die ihm vorangestellten theoretischen Studien von Horkheimer, Marcuse und vor allem der "sozialpsychologische Teil" Fromms. Hier entwickelte Fromm sein Konzept des sadomasochistischen Charakters, aus dem Adorno später seine berühmte F-Skala der Autoritären Persönlichkeit herausspann.

Die Autorität des Vaters werde im Bürgertum nur wegen der Aussicht auf das materielle Erbe und die damit verbundene Möglichkeit erduldet, einmal selbst die Rolle des Vaters mit all den damit verbundenen Privilegien einnehmen zu können. Sie entschädige für den abverlangten Freiheits-Verzicht. Unter den ökonomischen Bedingungen der Unterschicht sei die ökonomische Rolle des Vaters mangels Erbsubstanz allerdings überhaupt nicht mehr verlockend. Sie zu übernehmen könne vernünftigerweise nicht für den Verzicht, sich seiner Autorität zu beugen, entschädigen. Daher habe - so die Überlegung - die Bereitschaft zur Unterordnung in der proletarischen Familie auch keine rationale Basis. Wenn sie dort trotzdem angetroffen werde, so nur, weil in ihr die väterliche Autorität ideologisch vorgetäuscht und aufgebauscht sei. Wird sie trotzdem anerkannt, so erzeuge dies einen Charakter, der sich der Autorität nur mit verdrängter innerer Wut beugt, und der diese Wut an Schwächeren ausläßt. Dies geschieht deshalb, weil die Schwächeren den Wütenden leidvoll an die eigene kindliche Schwäche erinnern. Aus solchen Erkenntnissen wird folgerichtig die "Dialektik der Befreiung" abgeleitet: Um sich aus dieser Situation zu befreien, muß der einzelne sich gegen die Autorität auflehnen und dazu gesellschaftliche und vor allem moralische Konventionen sprengen. Ausgesprochene Amoral, z.B. polymorphe sexuelle Perversionen, dienen der Enttabuisierung und werden zum Mittel, mitunter sogar als Voraussetzung der Selbstbefreiung gewertet.

Daß dies durchaus ernst gemeint war, zeigt ein Aufsatz Horkheimers aus dem Erscheinungsjahr der Studie (1936). Dort heißt es:

"Die Fähigkeit zu unmittelbarer Lust ist vielmehr durch die idealistische Predigt der Veredelung und der Selbstver-leugnung (Vervollkommnung H.B.) in vielen Fällen ganz verdorben... Doch es gibt in der neueren Zeit Anzeichen, die in eine und dieselbe Richtung einer Lösung weisen. Einige Schriftsteller haben sich nämlich wieder offen zum Egoismus bekannt und zwar nicht zu jener abstrakten und jämmerlichen Fiktion, in welcher er bei manchen Nationalökonomen und bei Jeremias Bentham eine Rolle spielt, sondern zum Genuß, zum Höchstmaß an Glück, in das auch die Befriedigung grausamer Regungen eingeschlossen ist... (Die Befreiung zur Lust) wirft den Menschen nicht auf eine vorhergehende, seelische Stufe zurück, sondern bringt ihn zu einer höheren Form der Existenz... Sie zur allgemeinen Wirklichkeit zu machen, haben jene Denker wenig beigetragen, dies ist vornehmlich die Aufgabe der historischen Personen, bei denen Theorie und geschichtliche Praxis zur Einheit werden" d.i. beim Personal der Frankfurter Schule.36

Mit der Machtübernahme des Nationalsozialismus in Deutschland und der Verlagerung des Instituts in die USA wurde der materielle Spielraum des Instituts enger. Um den eigenen Wohlstand zu sichern, wurden Mitarbeiter aus dem Institut gedrängt. Herbert Marcuse und seine Frau Sophie, Otto Kirchheimer, Paul Baran, Leo Löwenthal, Siegfried Krakauer und andere dem Institut nahestehende Personen bekamen führende Positionen beim OSS, dem Vorgänger der späteren CIA und im US State Department. Erich Fromm mußte sich eine eigene psychoanalytische Praxis aufbauen, was er Horkheimer und Adorno lange Jahre sehr übel nahm.

In der während der Präsidentschaft F.D. Roosevelt von Felix Frankfurter im Zuge des New Deal gewaltig ausgebauten Staatsbürokratie fanden Revolte-Intellektuelle besondere, machtnahe Selbstverwirklichungsmöglichkeiten. Diese neue Elite begriff rasch den Nutzen der Theorien der Frankfurter Schule. Das zeigte sich nicht nur in der erwähnten Übernahme von Angehörigen der Frankfurter Schule, jener „historischen Personen, bei denen Theorie und geschichtliche Praxis zur Einheit wurden“ in die Staatsorgane, sondern an den zahlreichen Planungs- und Forschungsaufträgen für das Institut, die seinen Einfluß auf die Medien und die Gesellschaft der USA stärkten.



Der Neue Mensch

Das American Jewish Committee schlug dem Institut die Mitarbeit an einer großangelegten Studie über die Entstehungsbedingungen antisemitischer Vorurteile vor. Horkheimer wurde Leiter dieses Projekts, Adorno leitete eine Unterabteilung. Ihr oblag es, den antisemitischen, das sollte heißen, den faschistischen oder autoritären Charakter soziologisch zu bestimmen.37

Für sein Projekt entwickelte Adorno als Befragungsmethoden das "participant interview". Auf diese Erfindung war er sehr stolz, obwohl es sich um eine altbekannte, geheimdienstliche Praxis handelte: Die Aufklärung durch eingeschleuste, verdeckte Informanten. So dann erstellte er die bereits erwähnte F-Skala. Es handelte sich um die Auflistung der Symptome, an denen der von Fromm entwickelte, sadomasochistische Charakter erkannt werden sollte. Mit diesem Instrumentarium gelang ein ausgiebiges "profiling" zunächst der amerikanischen Bevölkerung.

Im Vorwort zu dem erst nach dem Krieg fertiggestellten Projekt stellte Horkheimer fest: "Unser Ziel ist nicht nur Vorurteile zu beschreiben, sondern sie mit dem Ziel zu erklären, sie zu beseitigen. Ihre Beseitigung bedeutet eine wissenschaftlich geplante Umerziehung". Dafür bot die Nachkriegszeit in Deutschland die das bestens geeignete Experimentierfeld. Sie fand aber nicht nur dort statt. Das Ergebnis ist der heute in allen westlichen Ländern zu beobachtende, sogenannte "Wertewandel".

Zur Umerziehung sollten vor allem die Medien dienen. Ihrer Indienstnahme widmete sich besonders Adorno. Er übernahm im sogenannten "Radio Project", das die Rockefeller Foundation schon 1937 in Auftrag gegeben hatte, die Untersuchungen über die emotionalen Wirkungen, die sich mit Hilfe von Radiomusik und hier besonders mit sogenannter populärer Musik bei den Zuhörern auslösen ließen. Leiter des gesamten Projekts war der nahe Bekannte des Instituts, Paul Lazersfeld. Er stammte aus Wien und war der Schwiegersohn des führenden SPD-Funktionärs, Rudoph Hilferding. Das Projekt lieferte die soziopsycho- logischen Instrumente zur Steuerung und Handhabung des "außengeleiteten" Menschen. Schon frühzeitig wies Adorno darauf hin, daß sich die Wirkung des Rundfunk-Instruments mit Hilfe des Fernsehens um ein vielfaches steigern ließ.38 "Die Leute, die heute die Medien, die Werbefirmen und die Meinungsum-frageinstitutionen leiten, folgen, selbst wenn sie niemals den Namen Adorno gehört haben sollten, seinen Theorien, wonach die Medien alles, was sie angreifen in so etwas wie ein Fußballspiel verwandeln sollen."39

Die Ansätze der Frankfurter Schule wurden dank des Einflusses früherer Mitglieder, die - wie erwähnt - zu dem wichtigsten Machtzentren der USA, der CIA, übergewechselt waren, rasch über den Rahmen des Instituts hinausgetragen. Was aus den Menschen nach dem Freud-Dostojewski'schen Vatermord werden soll, hat der schon erwähnte David Riesman im Programm des "außengeleiteten" Menschen umrissen.40 Der Außengeleitete kommt ohne eigenes Gewissen aus, weil er sich und sein Verhalten von den Medien steuern läßt. Seine aufgrund erlebter gesellschaftlicher Ohnmacht aufgestaute Wut läßt sich gegen die richten, die es wagen, sich anders, als die mediale Verhaltenssteuerung vorgibt, zu verhalten. Zum Beispiel werden Wissenschaftler, die zu Ergebnissen kommen, welche dem Dogma der drohenden Klimakatastrophe widersprechen, als „Spinner“ diskreditiert und ihre Karriere beendet. Bei einem so gesteuerten sozialen Druck wird der Aufwand für Polizei und Spitzel immer überflüssiger. Gerät allerdings die gewohnte minimale, materielle Versorgung der Menschen ins Wanken, versteht sich das medial behauptete „Selbstverständliche“ plötzlich nicht mehr von selbst, dann gewinnen Feindbild und Unterdrückungsapparat wieder deutlich an Bedeutung, um die sich eruptiv äußernde Enttäuschung zu kanalisieren. Im Namen des Kriegs gegen den unsichtbaren Terrorismus soll zum ureigenen Schutz jeder jeden bespitzeln. Das Übrige besorgen die zahlreichen elektronischen Überwachungsmöglichkeiten.



Ausblick zum Schluß

Den Frankfurtern, allen voran Horkheimer und Adorno, scheinen hinsichtlich ihrer Arbeiten und deren Verwendung später Bedenken gekommen zu sein. Damit jedenfalls ließen sich ihre späten resignativen Töne erklären.41 Sie gaben vor, an den inzwischen versteinerten wirtschaftlich-technologischen Verhältnissen gescheitert zu sein. Ihr Scheitern hat allerdings auch eine geistig-psychologische Seite. Sie hatten sich wie viele Revolte-Intellektuelle nicht bewußt gemacht, daß sich ihre Theorie situationistisch am berauschenden Augenblick des Vatermords festklammert und für die Zeit danach im Unterschied zu Dostojewskis problematischen Folgerungen42 keine realisierbare Perspektive („Praxis„) bietet. Auf das Angebot Lukacs, das von Schuldgefühlen gerittene ICH in einem Kollektiv wie dem Politbüro der Kommunistischen Partei oder nach David Riesman in der Geborgenheit der allgemein vertretenen „kritischen“ Medienmeinung aufzulösen, wollten sie aufgrund gewisser historischer Erfahrungen nicht eingehen. Habermas suchte dafür später in seiner Kommunikationstheorie der Gesellschaft einen vertretbaren aber auch nur formalen Ersatz anzubieten. Danach sollen die vaterlos gewordenen aber nicht daseinsmächtigen Vatermörder ihre Emotion im unendlichen Diskurs solange abarbeiten, bis sich zum St. Nimmerleinstag schließlich ein Konsens einstellt. Darüber wie der dann umzusetzen wäre, wäre der Diskurs fortzusetzen und so weiter. Die Verwirklichung des Konsens liegt allerdings außerhalb des zuführenden Diskurs und verlangt andere, dem Philosophen nicht unmittelbar einsichtige Qualitäten.

Wer, um die vernünftigen Zumutungen des Gewissens nicht ertragen zu müssen, zum Vatermörder wird, verzichtet auf das Wesen des Menschsein, das mehr ist als (erfolgreiche) Individualität an sich.43 Dostojewski hatte das zu Beginn des Unternehmens schon gewußt. In seinem programmatischen Roman bietet er als Alternativen zur Selbstaufgabe in einem Kollektiv (In seinem Roman war es das Kloster, dessen „Wohltätigkeit“ von der Machtausübung der obersten Kirchenleitung, des Großinquisitors, aber nicht zu trennen ist) den Selbstmord an. Auch der von Baudelaire anvisierte, kristallklare und eiskalte Faschismus, in dem sich die „neue Aristokratie“ verwirklichen will, kennt keine Brüderlichkeit, denn Mitmenschen werden der „neuen Aristokratie“ zu Wesen, die sie zum Positionserhalt manipulieren und benutzen müssen. Die sinnentleerte Massendemokratie oder der "Faschismus mit demokratischem Anstrich"44 scheinen allerdings den meisten Menschen erträglicher zu sein als die innere Leere und das unerträgliche Nichts des Nihilismus.45

Die romantische Rückkehr in frühere Verhältnisse, als – um es in Dostojewskis Bildsprache zu sagen – ein „Vater“ (Monarch oder Führer) der jeweiligen gesellschaftlichen Menschenfamilie (z.B. Nation) noch einen Zusammenhalt gab, ist unter den heutigen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen kaum mehr möglich. Auch greift Dostojewskis Ausweg zu kurz. Absolution vom Vatermord kann wohl in der Überwindung des marktwirtschaftlichen Egoismus durch Zuwendung zum Heil anderer gefunden werden. Die Liebe zum Leben kann die schuldhafte, egozentrische Einigelung durchbrechen. Doch kann diese Lösung nicht in der Selbstaufgabe an sich gesucht werden. Die mildtätige Zuwendung entzieht den Einzelnen nicht der nicht zu verantwortenden Schuld am allgemeinen Zustand. Die Spende für „Brot für die Welt“ entlastet nicht von der Mitverantwortung an den politischen und wirtschaftlichen Zuständen, die wie der jüngste Bericht der FAO in Rom (Herbst 2005) zeigt, jährlich 6 Millionen Kinder verhungern lassen und jährlich 862 Millionen Erwachsene an den Rand des Hungertodes und darüber hinausdrängen.

Vatermord, Protest, Aufbegehren, Enttabuisierung etc. ist nicht die Voraussetzung der Befreiung zur Individualität. Befreiung wäre die „Vaterwerdung“ (um beim historischen, männlich zentrierten Bild zu bleiben) oder im eigentlichen Sinne die Menschwerdung entsprechend der Christlichen Matrix. Diese Menschwerdung, das Hineinwachsen in die elterliche Autorität und Fürsorgefähigkeit für andere zum Beispiel für den unmündigen Nachwuchs beschränkt sich ja nicht, wie Horkheimer meinte, auf die Übergabe des materiellen väterlichen Erbes. Menschwerdung bedeutet Eintritt in die vollverantwortliche „Daseinsmächtigkeit“. Verkürzt auf die Familie (Elternwerdung) bedeutet es die Befähigung, als Eltern eine Familie zu ernähren und den Nachwuchs auf die Übernahme von verantwortlicher und verantworteter Arbeit in und für die Gesellschaft vorzubereiten, kurz: zu erziehen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß kein namhafter Vertreter der Frankfurter Schule auch nur im physischen Sinn Elternteil geworden ist. Selbst im übertragenen Sinne wurden sie es nicht. Sie mußten sich am Ende ihrer Umerziehungsarbeit von ihren geistigen Produkten, den Vertretern der Studentenrevolte der 68er Jahre, distanzieren und gegen deren kritische Fragen schließlich sogar nach der Polizei rufen.46

Produktionstechnisch haben wir Heutigen einen Stand erreicht, der sowohl materielle Not und Entbehrungen aller Menschen sowie Produktionsfolgen, die für die Biosphäre zerstörerisch sein könnten, überwindbar und damit sinnlos macht. Die vorhandenen Möglichkeiten kommen aber unter dem zum „Finanzsystem“ verfestigten, marktwirtschaftlichen Automatismus immer weniger zum Einsatz. Die verschwindend kleine Schar der Nutznießer dieses Finanzsystems verhindert einen solchen Einsatz des Geldgewinnes wegen und, um den globalen Steuermechanismus, eben dieses Finanzsystem um jeden Preis zu erhalten. Die herrschenden politischen Instanzen folgen ihren Weisungen ebenfalls um des persönlichen oder parteilichen Geldgewinnes wegen, oder weil sie keine Alternative kennen. Daher reicht die sinnlos gewordene, materielle Not inzwischen nicht nur in die sogenannten Entwicklungsländer sondern mehr und mehr auch in die Gesellschaft der „reichen“ Industrieländer hinein.

Die Befreiung von verselbständigter, nicht mehr gerechtfertigter Herrschaft bleibt nach wie vor eine unendliche Aufgabe. Die Christliche Matrix hatte lange vor unserer Zeit die Idee der verantwortlichen Selbstbestimmung im Christologischen Dogma vorgedacht. Sie konnte das Ziel wegen der großen Ferne der Realisierungsmöglichkeiten allerdings nur in abstrakt-religiösen Begriffen vorstellen. Die bloße Revolte gegen die ungerechtfertigte Herrschaft bleibt ohnmächtig und verfestigt die Abhängigkeit der Menschen noch, wenn sie sich gegen die christliche Matrix richten läßt. Befreiung kann es nur geben, wenn Menschen verkrustete Herrschaftsformen dadurch überwinden, daß sie die Zusammenarbeit der Menschen beim lebensnotwendigen Stoffwechsel mit der Natur besser und bewußter als bisher regeln.

Zusammenarbeit und Miteinander wird in der Verständigung über die praktischen Maßnahmen möglich, die die Voraussetzung für das Überleben und die Entfaltung des Lebens aller anderen einschließlich der natürlichen Umwelt sind. Ob das ohne Führung im wohlverstandenen Sinne möglich sein kann, sei hier dahingestellt. Schließlich werden Menschen, die tatsächlich ein großes Bauwerk errichten wollen, dem nicht zürnen, der es übernimmt, ihre Arbeitsschritte zu koordinieren und zu lenken, damit sie zum gewünschten (und nicht nur abverlangten) Erfolg führen. Jedenfalls muß Führung an ihren Ergebnissen, der Versorgung und Entwicklung aller Menschen gemessen werden. Sie muß daran stets neu gemessen und korrigiert werden, um sich nicht zur Herrschaft zu verfestigen. Ein Rückfall hinter Demokratie ist daher kaum denkbar, sondern nur der Fortschritt auf eine demokratische Staatsform, die auch die wirtschaftlichen und technologischen Möglichkeiten so steuert, daß dabei die Eigeninitiative und das persönliche Schöpfungspotential möglichst gefördert und nicht unterdrückt wird. Eine solche Regierungsform wäre nicht nur mit der christlichen Matrix vereinbar, sie ergäbe sich aus dieser – allerdings bisher nur logisch.

 

Fußnoten:

1 David Riesman: The Lonely Crowd, a Study in the Changing American Character. Yale University Press 1950, deutsch “Die Einsame Masse“ Rowohlt Hamburg 1958


2. Vgl. Hans Barth: Masse und Mythos, die ideologische Krise an der Wende zum 20. Jahrhundert und die Theorie der Gewalt: George Sorel, Hamburg Rowohlt 1959


3. V. Pareto: Traité de Sociologie Géneralé. Edition Francaise, Lausanne, Paris, P. Boven 1919, besonders die Passagen um die §§ bei I § 861 und II § 2205. Einer der führenden Vertreter der Frankfurter Schule, der Heidegger-Schüler und spätere CIA-Abteilungsleiter, Herbert Marcuse, hatte Pareto sehr eingehend studiert. Vergl. Fromm, Horkheimer, Mayer, Marcuse u.a. Autorität und Familie, Paris, Librairie Felix Alcan 1936 S 223 ff.


4. Einen verzerrenden aber nicht unergiebigen Überblick über den hier angesprochenen Vorgang liefert Ronald Inglehart: The Silent Revolution: Changing Values and Political Styles Among Western Publics. Princeton, Princeton University Press 1977


5.Vgl. F. St. Saunders: Wer die Zeche zahlt… Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg, Siedler Berlin 1999 (original „Who Paid the Piper? The CIA and the Cultural Cold War, Granta Books London 1999)


6. Aufschlußreich ist hierfür die später als Fiktion hingestellte Darstellung Leonhard C. Lewin in seinem „Report from Iron Mountain on the Possibility and Desirability of Peace, The Dial Press Inv. 1967 New York (Deutsch „Der verdammte Friede“, Scherz 1968 München) 1967/8 Greenpeace entstand 1969 im gleichen Jahr wie die weltweite Kampagne gegen DDT. Nach Lewins Fiktion soll die US-Geschäftselite 1963 in ihrem Atombunker Iron Mountain darüber beraten haben, wie sie die Gesellschaft nach Ausbruch des Friedens zwischen Ost und West weiterhin im Griff halten könne. Beim Durchspielen vieler Möglichkeiten blieb nur eine praktikable, der „Umweltschutz“. Die Manager beklagten damals nur, daß es hierfür bisher noch keine größere eindrucksvolle Umweltkatastrophe gäbe.


7. Studien über Autorität und Familie, Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialforschung Librairie Félix Alcan, Paris 1936


8. Max Horkheimer, Theordor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung, Amsterdam, Querido 1947, Max Horkheimer: Zur Kritik der Instrumentellen Vernunft, Aus Vorträgen und Aufzeichnungen seit Kriegsende, ed. Alfred Schmidt, Frankfurt, S. Fischer 1967. Hier besonders der erste Teil, der bereits 1947 in New York (Oxford Univ. Press) unter dem Titel "Eclipse of Reason" erschienen war.


9. Webster Tarpley: "Siegmund Freud's Cabalistic Attack an Judeo Christian Civilization" in: The New Federalist, Voll. VII No. 45 S. 5ff, Leesburg VA USA und die dort aufgearbeitete Literatur. Ennio Innocenti 1975 erschienenes Buch "Fragilita di Freud" stellt Freud als einen „Kokain schnupfenden B'nai-B'rith-Proselytenmacher“ dar.


10. Theodor W. Adorno begrüßte die Häßlichkeit als "Kunst der Befreiung". Das reichte von dem frühen Aufsatz "Zur gesellschaftlichen Lage der Musik" in: Zeitschrift für Sozialforschung ZfS 1932 H 1 - 3, in dem er auf das "belebende Moment des Barbarischen" in der Kunst setzt, bis zum erst 1970 erschienenen Werk "Ästhetische Theorie", welches "das Finstere als Antithese zum Betrug der sinnlichen Fassade von Kultur" feiert.


11. Vgl. dazu ab und zu auftauchende Skandale über organisierte Kinderschänder wie z.B. in den neunziger Jahren in Belgien. Ein früher Analytiker des Kults der modernen Häßlichkeit vermutet dahinter den "gnostischen" Versuch französischer Illuminaten (Aufklärer), nämlich die "Übertrumpfung des bloß animalischen Bösen mit dem Ziel, aus solchem Höchstmaß des Bösen den Absprung in die Idealität zu gewinnen" Hugo Friedrich: Die Struktur der Modernen Lyrik, Hamburg, Rowohlt 1946 S. 33


12. Herbert Marcuse: "Bemerkungen zu einer Neubestimmung der Kultur". In: ders.: Kultur und Gesellschaft 2, Frankfurt, Suhrkamp 1965, S. 161, (zuerst auf englisch in: Daedalus, Winter 1965)


13.Siegmund Freund: "Warum Krieg?" Gesammelte Werke, London Imago Publishing Bd. XVI S. 24. Die Vatermordtheorie der Psychoanalyse findet sich bereits in dem Roman Dostojewski's „Die Brüder Karamasow“ vorgedacht. Nur spielt hier statt des sexuellen Besitzes der Mutter (Ödipuskomplex) realitätsnäher die Übernahme des materiellen Erbes des Vaters und der damit verbundene Machtgenuß die treibende Rolle - so übrigens auch in Max Horkheimers Überlegungen zu diesem Aspekt des „bürgerlichen Familiendramas“.


14.Max Horkheimer, Theordor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung, Amsterdam, Querido 1947 S. 209


15. Wir beziehen uns hier auf die Aufhebung des angeblichen Paradoxes zwischen Allmacht und Allwissenheit Gottes im Begriff des Selbstbewußtseins (sich seiner Möglichkeiten bewußt zu sein und entsprechend zu handeln), wie sie von Marcilio Ficino und später von Gottfried Leibniz geleistet worden ist. Bezeichnenderweise greifen noch spätere Gottesleugner immer wieder gerne auf dieses angebliche aber nur unverstandene Paradox zurück.


16. Besonders der Kirchenvater Augustinus hat in seiner Auseinandersetzung mit dem Manichäismus die Substanzhaftigkeit von Gut und Böse geleugnet, um sie als Entwicklungsrichtungen besser zu verstehen. Vgl. entsprechende Passagen in den Confessiones und im 14. Buch von De Civitas Dei.


17. Die Ermöglichung des Rauschzustands hat sich die Situationistische Internationale zum politischen Ziel gesetzt. Ihre Selbstdarstellung findet sich in Situationistische Internationale 1958 bis 1969 – Gesammelte Ausgaben des Organs der Situationistischen Internationale Hamburg Bd. 1 1976, Bd. 2 1977. Ihr haben sich unter dem Namen „Subversive Aktion“ Studenten der Frankfurter Schule, z. B. die Kommunarden Dieter Kunzelmann und Fritz Teufel, angeschlossen vgl. Frank Böckelmann, Herbert Nagel (Hrsg.): Subversive Aktion – der Sinn der Organisation und ihr Scheitern Frankfurt 1976


18. Vgl. Friedrich Schillers Distichon: Würde des Menschen, "Nichts mehr davon, ich bitt Euch! Zu Essen gebt ihm, zu wohnen! Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst."


19. Herbert Marcuse: Eros and Civilisations 1955 im Auftrag und auf Kosten der Rockefeller Foundation erstellt, dt.: Triebstruktur und Gesellschaft, ein philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud, Suhrkamp Frankfurt 1965. Das Buch wurde für die sogenannte 68er Studentenrevolte richtungsweisend.


20. Augustinus beschreibt z.B. in den Konfessionen die subjektiven Formen, im Gottesstaat die objektiven Formen dieses Widerstands in der antiken Gesellschaft. Sie sind heute nicht grundlegend anderes.


21. Daß die Theorie und Ideologie des "freien Marktes" und seiner "unsichtbaren Hand" von Adam Smith im Auftrag und auf Kosten einer indirekt staatlichen Monopolgesell-schaft, der britischen East India Company und für deren politisch-propagandistische Zwecke entwickelt worden ist, wird in der einschlägigen Literatur meist verschwiegen. Vgl. dazu Lyndon H. LaRouche, David P. Goldman: The Ugly Truth About Milton Friedman, New York, Benj. Franklin 1980 durchgehend."


22. Oeuvres Completes Paris 1954 S. 907/908. Welche Himmelsgaben Baudelaire meint, erhellen seine Aussagen über Dichtung: "Dichtung wurzelt im Körper, in der physischen Fähigkeit, im Leben". Gemeint ist, was bei Bergson später "Elan Vital", Schopenhauer "Wille und Vorstellung", oder Nietzsche "Wille zur Macht" heißt.


23. Den politischen Rassismus hat vor aller biologistischen Rechtfertigung der Sozialist Moses Hess entdeckt. In seinem 1862 veröffentlichten Buch "Rom und Jerusalem, die letzte Nationalitätenfrage" stellt er den "Rassenkrieg" als ein dem "Klassenkampf“ überlegenes politisches Machtmittel heraus. Diese Quelle des Rassismus wird in der einschlägigen Literatur aus offensichtlichen Gründen übergangen. Moses Hess war der eigentliche Begründer der SPD und hatte Marx und Engels zum Sozialismus bekehrt.


24. Das zusammenfassende Programm dazu findet man beim schon erwähnten David Riesman: The Lonely Crowd, A Study of the Changing American Charakter, New Haven, Yale University Press 1950. Es ist - wie bei den im Determinismus verhafteten Denkern naheliegend - nicht als Programm, sondern als "Kritik" an einem scheinbar feststehenden, jedenfalls unumkehrbaren Trends geschrieben worden. Auf diese Weise konnten Intellektuelle ihre Verantwortung für die Umsetzung des Programms vor sich selbst, ihren Jüngern und einer dümmlichen Nachwelt abstreiten und dem Lauf der Dinge zuweisen.


25. Zu den Schulungen hatte die Schauspielerin und Komintern-Agentin Lacis Asja ihren späteren Ehemann Walter Benjamin, mitgebracht. Er schrieb von dort seinem Freund Gershom Scholem begeistert, er habe dort "existentielle Befreiung und intensive Einsicht in die Aktualität des radikalen Kommunismus" gewonnen. Man hatte die Insel nicht wegen der schönen Landschaft gewählt, sondern weil sich hier Palast und Kultzentrum des römischen Kaisers Tiberius befand, der nicht nur für die Hinrichtung Jesus verantwortlich gemacht wird, sondern dort sozusagen mit staatlicher Lizenz seinem Laster, besonders schönen, jungen Frauen die Kehle durchzuschneiden, gefrönt haben soll.


26. Im gleichen Jahr 1922 war ein weiteres Programm mit dem bemerkenswerten Titel "Das Dritte Reich" erschienen. Es stammte von Müller van den Bruck, der wie Lukacs ein glühender Verehrer Dostojewski und dazu einer seiner Übersetzer war. Er forderte eine neue revolutionäre Bewegung neben Kapitalismus und Sozialismus, weil sich mit der 'Übervölkerung der Erde" eine neue Aufgabe gestellt habe. Die im September 1994 von der UNO in Kairo anberaumte Weltbevölkerungskonferenz schien diese beide Varianten der "Modernität" verknüpfen zu wollen.


27. An die Stelle des "protest against consciousness" (des Fabianers Shaw) sollte die Zersetzung des Gewissens treten.


28. 1914 fragte Lukacs in seiner "Theorie des Romans". "Wer rettet uns vor der westlichen Zivilisation?" Die Antwort wollte er mit dem großangelegten, unvollendeten Werk über Dostojewski geben, als dessen Vorwort die "Theorie des Romans" ursprünglich gedacht war. Statt das Vorhaben auszuführen, heiratete Lukacs im gleichen Jahr die russische Terroristin Jelena Grabenko und trat der kommunistischen Partei bei.


29. Auf den revolutionären Populismus, den Dostojewski "christlich" dekorierte, und den er dem westlichen "Egoismus" entgegenstellte, können wir hier, so wichtig er ist, nicht näher eingehen. Er findet sich in unterschiedlicher Bewertung in allen besseren Darstellungen seiner Weltanschauung. An sie knüpfte auf protestantischer Seite vor allem die Dialektische Theologie von Eduard Thurneysen und Karl Barth an (woraus sich ein Teil der Verirrungen des heutigen Protestantismus erklärt).


30. Carl Heinrich Beckers Sohn, Hellmuth Becker, war später als Leiter des Max Planck Instituts für Bildungsforschung Deutschland verantwortlich. Er sorgte unter anderem auch dafür, daß die Frankfurter Schule nach 1950 wieder in die Bundesrepublik zurückkehrte und sicherte ihr eine standesgemäße finanzielle Versorgung aus Steuergeldern zu. Die Gründung dieses Instituts ging auf Salam Rabinkow, dem Hausrabiner Isaak Sternbergs, des ersten Volkskommissar für Justiz der jungen Sowjet Union, zurück. Sternberg hatte sich nach dem gescheiterten Putsch von 1905 nach Deutschland ins Exil begeben. Erich Fromm, zu Beginn des Instituts ein führender Mitarbeiter, war der Enkel seines großen Vorbildes Dr. Seligmann Pinchas Fromm, des Hausrabiners von Baron Willi Carl von Rothschild. Er hatte die Eigentümerin des Sanatoriums, Frieda Reichman, geheiratet und dadurch die Verknüpfung der beiden Einrichtungen ermöglicht. in Berlin für die Erziehungsreform in Deutschland verantwortlich. Er sorgte unter anderem auch dafür, daß die Frankfurter Schule nach 1950 wieder in die Bundesrepublik zurückkehrte und sicherte ihr eine standesgemäße finanzielle Versorgung aus Steuergeldern zu.


31. Die Gründung dieses Instituts ging auf Salam Rabinkow, dem Hausrabiner Isaak Sternbergs, des ersten Volkskommissar für Justiz der jungen Sowjet Union, zurück. Sternberg hatte sich nach dem gescheiterten Putsch von 1905 nach Deutschland ins Exil begeben. Erich Fromm, zu Beginn des Instituts ein führender Mitarbeiter, war der Enkel seines großen Vorbildes Dr. Seligmann Pinchas Fromm, des Hausrabiners von Baron Willi Carl von Rothschild. Er hatte die Eigentümerin des Sanatoriums, Frieda Reichman, geheiratet und dadurch die Verknüpfung der beiden Einrichtungen ermöglicht.


32. Die Umwandlung von Triebimpulsen in emotionale gesellschaftliche Stabilisatoren hatte Robert Briffault in seinem 1927 in New York erschienenen, dreibändigen Werk "The Mothers, A Study of the Origin of Sentiments and Institutions" herausgearbeitet. Das Konzept hatte Fromm bereits bei Alfred Weber kennengelernt und in seiner 1922 Weber vorgelegten Dissertation: "Das jüdische Gesetz, ein Beitrag zur Soziologie des Diasporajudentums" am Beispiel der jüdischen Familie entwickelt. Das jüdische Gesetz wird hier unabhängig vom religiösen Glauben als erziehungsmäßig ausgeprägte, kollektive "Seele des jüdischen Geschichtskörpers" gesehen - eine Art individualisierte Form des Politbüro-Kollektivismus.


33. Im Roman Dostojewskis finden sich hierzu zwei Antworten. Dimitri, obwohl eigentlich unschuldig, nimmt die Strafe auf sich und duldet, Aljoscha nimmt sich in der Nachfolge des Klosterheiligen uneigennützig der Kinder an. Der Dritte, Iwan, bleibt als Intellektueller eine lächerlich impotente Figur aber mit einer steuernden Funktion. Daß selbst Siegmund Freud ähnliche Perspektiven vorschwebten, findet man in der Schrift Erich Fromm: Siegmund Freud's Sendung, Frankfurt Berlin, Ullstein 1961 besonders in den Kapiteln VI Die autoritäre Gestalt, VII Der Weltverbesserer, VIII Psychoanalyse als Bewegung und IX Dikatur der Vernunft ausgiebig belegt. Eine modernere Form des Konzepts, die Partei und diktatorische Führungsavantgarde durch massenmediale Steuerung und Unterhaltung ersetzt, hat der dem Frankfurter Institut nahestehende David Riesman in seinem oben erwähnte Programm des "außengeleiteten Menschen" entwickelt.


34. Erich Fromm: Gesamtausgabe 10 Bde, Hrsg. Rainer Funk, Stuttgart 1980/81, hier Bd. 6 Religion S. 9.


35. Briffault faßte seine Thesen für das Institut in dem Aufsatz "Family Sentiments" zusammen, der 1933 in der Zeitschrift des Instituts ZfS, S. 375 ff erschien.


36. "Egoismus und Freiheitsbewegung, zur Anthropologie des bürgerlichen Zeitalters" in ZfS 1936 S. 229 f. Adorno nannte diesen wichtigen Aufsatz die "Rettung des Sadismus". Bei der Verwirklichung der Befreiung zur Lust darf man die Vorgänge in Palästina, in Jugoslawien der 90er Jahre oder in den Gefangenenlagern des heutigen Irak nicht aus dem Auge verlieren. Sie entsprechen durchaus den Vorstellungen der von Horkheimer angesprochenen Schriftsteller, z.B. eines Marquise de Sade.


37. Max Horkheimer, Samuel H. Flowermann (ed.): Studies in Prejudice, 5 Bdd., New York 1949 ff. Hier besonders T.W. Adorno, E Frenkel-Brunswik u.a. The Authoritarian Personality, New York 1950.


38.Dazu: Michael J. Minnicino: "The Frankfurt School and Political Correctness" in: Fidelio Journal of Poetry, Science and Statecraft Winter 1992 S. 17. Der Aufsatz behandelt sehr eingehend die Arbeit des Radioprojekts.


39. Minnicino aa0. S. 15


40. David Riesman: The Lonely Crowd, A Study of the Changing American Charakter, New Haven, Yale University Press 1950. Auf Riesman war Horkheimer 1943 durch dessen Aufsatz über Antisemitismus aufmerksam geworden. Er schrieb in einem Brief vorn 3.4.43 an Adorno : "Wer ist dieser Riesman? Seine Ideen stimmen hier seltsamerweise mit unseren eigenen überein. Er ist anscheinend ein sehr intelligenter Mann oder hat unsere Veröffentlichungen mit Erfolg studiert".


41. Theordor W Adorno: Resignation (Vortrag im Sender Freies Berlin vom 9.2.1969) abgedruckt in: ders.: Kritik, kleine Schriften zur Gesellschaft, Frankfurt Suhrkamp 1971. Vgl. auch seine "Negative Dialektik" aus dem Jahr 1966 (Bei Suhrkamp 1971 erschienen). Sie beginnt mit dem einsichtsvollen Satz: "Philosophie, die einmal überholt schien, erhält sich am Leben, weil der Augenblick ihrer Verwirklichung versäumt ward".


42. Sie ähneln im übrigen auch denen, die Kierkegaards zieht, der statt des existentialistischen Sprunges in das Nichts, den in das zunächst abstrakte „Wagnis“ des Glaubens vorgeschlagen hatte.


43. Friedrich Schiller hatte im Wilhelm Tell sehr genau zwischen dem Verfechter unveräußerlicher Menschenrechte in der Person des Wilhelm Tell und der Revolte-Figur des Patrizida (Vatermörder) unterschieden. Im Drama „Die Verschwörung des Fiesko“ unterscheidet er zwischen der republikanischen Revolution (Verinna) und den Versuchungen der Machtergreifung einer „neuen Aristokratie“ (Fiesko).


44. Vgl. dazu ICLC Strategie Studies: "Rockefeller's Fascism with a Democratic Face" in: The Campaigner Vol 8 Nr 1/2, New York, Campaigner Publications 1974


45. Vgl. die Kritik Nietzsches am Nihilismus und daraus abgeleitet die postnihilistische Weltanschauung eines Leo Strauss, der der Frankfurter Schule nahe gestanden hatte. Sie gewann starken Einfluß auf die derzeitigen neokonservativen Machthaber in den USA. Vgl. Kap 5 Die Philosophie der Neokonservativen in Cheneys Junta, in: H. Böttiger (Hsrg.): Die Neokons, wer treibt die USA in die imperiale Falle, Wiesbaden, Dr. Böttiger Verlag, 2004


46. Das geschah am 31. Januar 1969, als Adorno eine Besetzung seines Instituts durch Studenten befürchtet hatte. Im April 1969 lief Adorno vor Studentinnen davon, die ihn mit der Entblößung ihrer Brüste erschreckt hatten. Habermas ließ sich in einem anderen Zusammenhang sogar, auch wenn nicht ganz ohne theoretische Berechtigung (deren Darlegung die kritische Theorie hätte entlarven müssen) zum „bösen Wort“ vom „linken Faschismus“ hinreißen.


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